Info
Demokratischer Sozialstaat unter Druck.
Liebe Mitstreiter*innen und Interessierte,
von fast allen politischen Richtungen gerät unser Sozialstaat immer stärker unter Druck - zu teuer, zu ineffektiv, zu viel Missbrauch. Bezieher*innen sozialer Leistungen werden zusehends als „Sozialschmarotzer*innen“, „Totalverweigerer*innen“ und „Faulenzer*innen“ diffamiert. Kürzungen seien die einzige Lösung, um Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft zu ermöglichen. Die Liste populistischer Argumente gegen unseren Sozialstaat lässt sich fortsetzen. In diesen Debatten werden die Verletzlichsten in unserer Gesellschaft – arbeitslose Menschen, Migrant*innen, Alleinerziehende, pflegende Angehörige, Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten, Rentner*innen – gegeneinander ausgespielt und unsere Gesellschaft polarisiert. Davon profitieren aktuell einzig und allein rechtsextremistische und populistische Kräfte.
All das verfestigt Armut und gefährdet unsere Demokratie.
Der Fachtag wird sich mit den zunehmenden Angriffen auf unseren Sozialstaat in politischen Debatten auseinandersetzen und Perspektiven entwickeln, wie wir ihn als wichtiges Instrument sozialer Teilhabe und Chancengleichheit für alle Menschen stärken. Insbesondere im Osten haben wir mit den diesjährigen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, der kommenden Bundestagswahl 2025 und der Landtagswahl 2026 in Sachsen-Anhalt langanhaltende und scharfe Debatten zu erwarten, in denen sozialpolitische Errungenschaften mühsam verteidigt werden müssen.
Programm
09:30 Uhr Ankunft
10:00 Uhr Begrüßung, Grußwort und Einführung in den Tag
Wolfgang Beck, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Marlies Cassuhn, Bürgermeisterin Stadt Wolmirstedt
10:30 Uhr Krise. Das Versagen einer Republik.
Dr. Ulrich Schneider, Autor, Armutsexperte und ehem. Hauptgeschäftsführer vom Paritätischen Gesamtverband
11:30 Uhr Markt der Initiativen
Austausch und Netzwerk mit Initiativen und Organisationen zum Thema soziale Sicherung und Demokratiestärkung
12:15 Uhr Mittagspause
13:00 Uhr Themenforen
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​​​​​​​Soziale Ungleichheit wächst: Wird Armut zum Risiko für die Demokratie?
Dr. Dorothee Spannagel, Referatsleiterin für Verteilungsanalyse und Verteilungspolitik am WSI der Hans-Böckler-Stiftung
Die alltäglichen Erfahrungen und Möglichkeiten von Menschen in Deutschland hängen ganz entscheidend von ihrem Einkommen ab. Ausgehend von der anhaltend hohen Einkommensungleichheit zeichnet der Verteilungsbericht unterschiedliche Lebensrealitäten von Menschen nach und verdeutlicht: Wenn sich Menschen gesellschaftlich nicht mehr wertgeschätzt fühlen und das Vertrauen in das politische System verlieren, dann leidet darunter auch die Demokratie.
Sozialpolitik von Rechts: Soziale Rhetorik – Neoliberale Praxis
Prof. Dr. Frank Decker, Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn
Die aktuelle Diskussion um das Bürgergeld zeigt, wie Verteilungskonflikte durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen verschärft werden. Die Schutzfunktion des Sozialstaates für die Bedürftigen gerät dadurch unter Druck. Hauptprofiteur und -antreiber „exkludierender Solidarität“ sind die Rechtspopulisten. Sie umwerben von Abstiegsangst oder -erfahrungen bedrohte Wähler erfolgreich, obwohl ihre eigenen wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen deren Interessen überwiegend entgegenstehen und die ökonomische Ungleichheit weiter vergrößern würden.
Arm und selbst schuld? Zu Debatten um Eigenverantwortung, Klassismus und Marginalisierung
Dr. Christopher Wimmer, Soziologe an der Humboldt-Universität zu Berlin
Die Annahme: "Wer arm ist, muss selbst dafür verantwortlich sein.“ ist deshalb gefährlich, weil sie von Armut und Ausgrenzung betroffenen Menschen soziale Respektabilität abspricht und Solidarität verhindert. Sie erklärt soziale Positionen nicht anhand struktureller Gründe, sondern anhand individuellen Verhaltens. Durch diese Vorstellung wird Armut und Ausgrenzung am Ende zu einer moralischen Frage von Faulheit und fehlendem Anstand gegenüber der Gemeinschaft umgedeutet. Dies birgt für Betroffene ein hohes Stigmatisierungsrisiko, dass auch auf die eigene Selbstwahrnehmung übergreift.
Antworten auf Einwände gegen soziale Gerechtigkeit
Dr. Patrick Schreiner, Gewerkschaftssekretär im Bereich Wirtschaftspolitik ver.di
Gegen eine auskömmliche Finanzierung sozialer Dienstleistungen und Infrastruktur werden die immer gleichen Argumente vorgebracht: "Der Staat sei nicht unterfinanziert, er müsse nur vielmehr haushalten und sich auf das Wesentliche beschränken." Eine stärker umverteilende Steuerpolitik sei hingegen ungerecht und wirtschaftlich schädlich. Diese Argumentation wird mit einer ganzen Reihe von finanz- und steuerpolitischen Märchen gerechtfertigt. Diese Märchen setzen wir auf den Prüfstand.
Solidarität und Teilhabe gegen Verschwörungsdenken. Handlungsansätze für soziale Initiativen.
Benjamin Winkler, Amadeu Antonio Stiftung
Das politische Handeln in den Krisen der letzten Jahre war geprägt von der Notwendigkeit sehr schnell auf sehr dynamische Situationen reagieren zu müssen. Die Wahrnehmung dessen war mitunter chaotisch und intransparent. Kein Wunder, dass insbesondere in der Bewältigung dieser Zeiten Verschwörungserzählungen einen Boom erlebten. Wie erklären Verschwörungsideologien die aktuellen Krisen unserer Zeit? Welche Ziele verfolgen Verschwörungsideolog*innen damit? Welche Konsequenzen hat Verschwörungsdenken in der Gesellschaft?
14:45 Uhr Pause
15:00 Uhr Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen der demokratischen Parteien im Landtag Sachsen-Anhalt
16:00 Uhr Resümee der Veranstaltung und Verabschiedung​​​​​​​
Moderation: Romy Höhne, denk.heimat
gefördert durch die Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt
Hintergrund
Im November 2023 haben wir die Landesarmutskonferenz Sachsen-Anhalt (LAK) gegründet. Die LAK ist ein Forum von Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, Gewerkschaften, Verbänden, Vereinen, Initiativen, Selbstvertretungen von Armut betroffener Menschen und wissenschaftlichen Institutionen in Sachsen-Anhalt, die mit ihrer fachlichen Arbeit dazu beitragen, Lösungsansätze zur Vorbeugung und Überwindung von Armut aufzuzeigen und gegenüber der Politik einzufordern.
Ausführliche Informationen finden Sie unter: www.armutskonferenz.org